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Volle Anrechung des Kindergelds auf „Hartz IV-Leistungen“ verfassungsgemäß

Die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts teilte am 08.04.2010 mit:
Der 1994 geborene Beschwerdeführer lebte mit seinen Eltern in einer
Bedarfsgemeinschaft nach dem sog. „Hartz IV-Gesetz“ (SGB II) und bezog
Sozialgeld. Das Kindergeld wurde – wie in § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II
ausdrücklich angeordnet – in voller Höhe als leistungsminderndes
Einkommen auf das Sozialgeld angerechnet.

Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass das Kindergeld nur zur Hälfte hätte angerechnet werden dürfen: Die nicht anzurechnende Hälfte entspreche dem Betrag, den der Gesetzgeber bei zu versteuerndem Einkommen als Steuervergünstigung in
Form des Kinderfreibetrags gewähre und mit dem er dem Betreuungs-,
Erziehungs- und Ausbildungsbedarf für das Kind Rechnung trage. Wenn bei
„Hartz IV“-Empfängern dieser Kinderfreibetrag mangels zu versteuernden
Einkommens nicht zum Tragen komme, sei dies dadurch auszugleichen, dass
das Kindergeld zur Hälfte anrechnungsfrei bleibe. Andernfalls würden
„Hartz IV-Empfänger“ gegenüber anderen Kindergeldempfängern grundlos
benachteiligt und hinsichtlich des Betreuungs-, Erziehungs- und
Ausbildungsbedarfs würde das Existenzminimum unterschritten. Nach
erfolgloser Klage auf Nachzahlung vor den Sozialgerichten hat der
Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Die vollständige Anrechnung des Kindergeldes als leistungsminderndes
Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 SGB II auf „Hartz IV-Leistungen“ ist
mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines
menschenwürdigen Existenzminimums ist nicht verletzt. Denn der
Beschwerdeführer hat durch das Kindergeld und das gekürzte Sozialgeld im
Ergebnis staatliche Leistungen in der gesetzlich bestimmten Höhe
erhalten. Zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums war
es auch nicht geboten, das Kindergeld teilweise anrechnungsfrei zu
stellen. Zwar trägt das Einkommensteuerrecht der Deckung des
Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarfs eines Kindes durch
Kinderfreibeträge Rechnung. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines
menschenwürdigen Existenzminimums verlangt aber keine Sozialleistungen,
die den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf für Kinder in
gleichem Maße berücksichtigen wie das Steuerrecht. Dies hat das
Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 (1
BvL 1/09 u.a.) zur Verfassungswidrigkeit der Regelleistungen nach dem
„Hartz IV-Gesetz“ festgestellt.

Die volle Anrechnung des Kindergeldes wahrt den Gleichheitssatz. Der
Gesetzgeber, der bei zu versteuerndem Einkommen Steuervergünstigungen in
Form von Kinderfreibeträgen gewährt, ist nicht verpflichtet,
Sozialleistungen in vergleichbarer Höhe für Personen und deren
Angehörige zu gewähren, die – wie im Fall des Beschwerdeführers – kein
zu versteuerndes Einkommen erzielen. Auch sonst ist keine
Ungleichbehandlung zu erkennen, da § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II
hinsichtlich Zahlung und Anrechnung des Kindergeldes alle
Kindergeldberechtigten und alle zu einer Bedarfsgemeinschaft mit ihren
Eltern gehörenden hilfebedürftigen Kinder gleich behandelt.

Quelle: www.bundesverfassungsgericht.de

Fachanwältin für Familienrecht Christine Andrae

Über die Autorin

Rechtsanwältin Christine Andrae ist Fachanwältin für Familienrecht in Köln. Auf dieser Seite veröffentlich sie Beiträge zu familienrechtlichen Themen wie Unterhalt, Sorgerecht, Scheidung oder Umgangsrecht.

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