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Hinzurechnung des Kindergeldes zur Steuerschuld gemäß § 31 Satz 5 und § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG auch bei Nichtanrechnung auf den Unterhalt mit dem Grundgesetz vereinbar

Die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichtes teilte am 03.11.2009 mit: Die mit dem Unterhalt und der Betreuung von Kindern verbundenen
Belastungen der Eltern werden durch steuerliche Freibeträge und durch
die Zahlung von Kindergeld ausgeglichen.

Für den hier zu betrachtenden Veranlagungszeitraum 2001 maßgeblich sind die Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur
Familienförderung vom 22. Dezember 1999. Danach wird die steuerliche
Freistellung in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich
des Betreuungsbedarfs durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder
durch das monatlich als Steuervergütung gezahlte Kindergeld bewirkt. Die
Freibeträge werden nur dann vom Einkommen des Steuerpflichtigen
abgezogen, wenn die gebotene steuerliche Freistellung nicht bereits
durch das monatlich gezahlte Kindergeld bewirkt wird
(„Günstigerprüfung“). Sind bei der steuerlichen Veranlagung die
Freibeträge abzuziehen, wird das gezahlte Kindergeld der tariflichen
Einkommensteuer hinzugerechnet. Nicht steuerlich zusammenveranlagten
Eltern stehen die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG jeweils zur Hälfte
zu. Da das Kindergeld nur einem Berechtigten – wie im Ausgangsverfahren
meist dem betreuungsunterhaltspflichtigen Elternteil – ausgezahlt wird
(§ 64 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 EStG), steht für die steuerliche
Hinzurechnung ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch dem Erhalt von
Kindergeld gleich (§ 31 Satz 5 EStG). Nach den im Veranlagungszeitraum
geltenden unterhaltsrechtlichen Vorschriften war gemäß § 1612b Abs. 1
BGB das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Hälfte auf den Unterhalt
anzurechnen, wenn es nicht an den barunterhaltspflichtigen Elternteil
ausgezahlt wurde. Gemäß § 1612b Abs. 5 BGB unterblieb die Anrechnung des
Kindergeldes auf den Unterhalt aber, soweit der Unterhaltspflichtige
außerstande war, Unterhalt in Höhe von 135 Prozent des Regelbetrages
nach der Regelbetrag-Verordnung zu leisten (sog. Mangelfall).

Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs sah sich in einem
Revisionsverfahren gegen die Festsetzung der Einkommenssteuer eines
geschiedenen Ehegatten, der für seine nicht in seinem Haushalt lebenden
minderjährigen Kinder barunterhaltspflichtig ist, an einer Entscheidung
gehindert und hat dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur
Entscheidung vorgelegt, ob in unterhaltsrechtlichen Mangelfällen die
Hinzurechnung des Kindergeldes zur Einkommensteuer gemäß § 31 Satz 5 in
Verbindung mit § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG gegen das Grundgesetz verstoße,

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass §
31 Satz 5 und § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG mit dem Grundgesetz vereinbar
sind, auch soweit Steuerpflichtige von der Regelung des § 1612b Abs. 5
BGB betroffen sind (zur Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift vgl.
Beschluss des Ersten Senats vom 9. April 2003 – 1 BvL 1/01, 1 BvR
1749/01 – BVerfGE 108, 52 <70>; Pressemitteilung Nr. 64/2003 vom 05.
August 2003). Mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der steuerlichen
Verschonung des Existenzminimums des Steuerpflichtigen und seiner
unterhaltsberechtigten Familie und dem allgemeinen Gleichheitssatz ist
vereinbar, dass die um die Freibeträge verminderte Einkommensteuer auch
bei den Steuerpflichtigen um die Hälfte des gezahlten Kindergeldes
erhöht wird, die nicht in der Lage sind, Unterhalt in Höhe von 135
Prozent des Regelbetrags nach der Regelbetrag-Verordnung zu leisten. Die
Entscheidung ist mit 7:1 Stimmen ergangen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die verfassungsrechtlich gebotene Verschonung des kindbedingten
Existenzminimums wird in – hier allein zu betrachtenden – Fällen wie dem
des Ausgangsverfahrens dadurch bewirkt, dass das Einkommen des
Steuerpflichtigen um die Freibeträge gemäß § 32 Abs. 6 EStG vermindert
wird. Der Gesetzgeber hat sich damit für eine verfassungsrechtlich
zulässige generalisierende Regelung entschieden, mit der die
existenznotwendigen Mindestaufwendungen für Kindesunterhalt bei allen
Steuerpflichtigen in gleicher Weise in der steuerlichen
Bemessungsgrundlage berücksichtigt werden. Das dem Steuerpflichtigen als
monatlich gezahlte Steuervergütung (§ 31 Satz 3 EStG) zugeflossene
Kindergeld ist zur Vermeidung doppelter Berücksichtigung des
Kindesexistenzminimums zurückzugewähren, indem es zur tariflichen
Einkommensteuer hinzugerechnet wird (§ 31 Satz 5 EStG).

Entsprechend dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers fließt das
Kindergeld dem barunterhaltspflichtigen Elternteil auch in den Fällen
zu, in denen eine Anrechnung des Kindergeldes auf den Barunterhalt nach
§ 1612b Abs. 5 BGB ganz oder teilweise unterblieben ist, weil es
vorrangig zur Auffüllung des Kindesunterhalts zu verwenden war (sog.
Mangelfall).

Ein gemäß § 31 Satz 5 EStG auszugleichender Zufluss des Kindesgeldes ist
nicht nur dann anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige über das
Kindergeld, das ihm für ein Kind zusteht, beliebig verfügen kann. Da den
Eltern Kindergeld vor allem zugunsten des Kindes für dessen sächliches
Existenzminimum sowie für seinen Betreuungs- und Erziehungs- oder
Ausbildungsbedarf gezahlt wird, trifft die Regelung des § 1612b Abs. 5
BGB eine Zweckbestimmung für die Verwendung des Kindergeldes. Hinter
dieser Ausgestaltung steht die materielle Verpflichtung des
Barunterhaltspflichtigen, im Mangelfall den gemäß § 1612a Abs. 1, §
1612b Abs. 1 BGB geschuldeten Unterhalt auf das Barexistenzminimum (135
Prozent des Regelsatzes nach der Regelsatz-Verordnung) aufzustocken.
Insofern stellt sich die Regelung wirtschaftlich als Erhöhung der
Unterhaltsverpflichtung des Barunterhaltspflichtigen dar. Änderungen der
individuellen Unterhaltslast berühren indes das System der steuerlichen
Entlastung des Unterhaltspflichtigen im Wege generalisierter Freibeträge
nicht, solange diese das Kindesexistenzminimum angemessen abdecken, was
im vorliegenden Verfahren nicht in Zweifel gezogen worden ist.

Ein Verstoß gegen die aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grenzen
gesetzlicher Regelungsbefugnis lässt sich nicht feststellen. Die
steuerliche Entlastung kindesbedingter Minderung der Leistungsfähigkeit
der von § 1612b Abs. 5 BGB betroffenen Steuerpflichtigen erfolgt nach
denselben Bestimmungen wie diejenige anderer Unterhaltspflichtiger. Die
durch diese Vorschrift bewirkten finanziellen Einschränkungen
Betroffener sind Konsequenz ihrer geringeren Leistungsfähigkeit. Nicht
ersichtlich ist, inwiefern daraus eine Verpflichtung des Gesetzgebers
folgen könnte, für diesen Personenkreis zur Wahrung des
Gleichheitssatzes besondere, von den allgemeinen Bestimmungen des
Familienleistungsausgleichs abweichende Regelungen zu schaffen.

Quelle: www.bundesverfassungsgericht.de

Fachanwältin für Familienrecht Christine Andrae

Über die Autorin

Rechtsanwältin Christine Andrae ist Fachanwältin für Familienrecht in Köln. Auf dieser Seite veröffentlich sie Beiträge zu familienrechtlichen Themen wie Unterhalt, Sorgerecht, Scheidung oder Umgangsrecht.

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