Aktuell

Eilantrag gegen Neuregelung strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen im Gesetz über die „Vorratsdatenspeicherung“ erfolglos

Die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichtes teilte am 07.11.2008 mit: Mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der
Richtlinie 2006/24/EG wurden neben der sogenannten
Vorratsdatenspeicherung auch einzelne Vorschriften der
Strafprozessordnung neugefaßt.

Die Antragsteller in den hier zu entscheidenden Verfahren wenden sich gegen die Neufassungen der § 100a Abs. 2 und Abs. 4 (Überwachung der Telekommunikation) und § 100f StPO (Abhören außerhalb der Wohnung) durch Art. 1 Nr. 7 und Nr. 11 des
Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung sowie die
durch Art. 1 Nr. 12 dieses Gesetzes neu eingeführte Bestimmung des §
110 Abs. 3 StPO (Durchsicht elektronischer Speichermedien). Die
Antragsteller im Verfahren 2 BvR 236/08 wenden sich zudem gegen den
durch Art. 1 Nr. 13a des Gesetzes zur Neuregelung der
Telekommunikationsüberwachung neu eingefügten § 160a StPO (Schutz
zeugnisverweigerungsberechtigter Berufsgeheimnisträger). Sie haben
neben ihren erhobenen Verfassungsbeschwerden einen Eilantrag gestellt,
mit dem sie die einstweilige Aussetzung der durch das Gesetz zur
Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung eingeführten
Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten zu
Zwecken der öffentlichen Sicherheit in § 111, § 113a
Telekommunikationsgesetz und der Änderungen und Neueinführung der §
100a Abs. 2 und Abs. 4, § 100f, § 110 Abs. 3 und § 160a StPO begehren.

Nachdem verschiedene Verfassungsbeschwerden beim
Bundesverfassungsgericht eingegangen waren, hat der zuständige
Ausschuss in diesen Verfahren die Zuständigkeit gem. § 14 Abs. 5
BVerfG geklärt (Pressemitteilung Nr. 11/2008 vom 30. Januar 2008). Der
Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in einem
Parallelverfahren bereits über den Eilantrag auf Aussetzung der
Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung von
Telekommunikations-Verkehrsdaten eine einstweilige Anordnung erlassen
(Pressemitteilung Nr. 37/2008 vom 19. März 2008).

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in den vorliegenden
Verfahren die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
verworfen, soweit sich die Antragsteller gegen die Neuregelungen in §
100f und § 110 Abs. 3 StPO n.F. wenden, weil die in der Hauptsache
erhobenen Verfassungsbeschwerden wegen Zeitablaufs und mangelnder
Beschwer von vornherein unzulässig sind.

Soweit sich die Antragsteller gegen die Regelungen in § 100a Abs. 2
und Abs. 4 sowie § 160a StPO n.F. wenden, sind die Anträge auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden. Die in diesen
Verfassungsbeschwerden aufgeworfenen Fragen bedürfen einer umfassenden
Prüfung im Hauptsacheverfahren und können insoweit als offen angesehen
werden. Deshalb sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die
einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerden
später aber Erfolg hätten, gegen die Nachteile abzuwägen, die
entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde,
den Verfassungsbeschwerden aber der Erfolg zu versagen wäre. Insoweit
konnte das erforderliche deutliche Überwiegen der für den Erlass einer
einstweiligen Anordnung sprechenden Belange für den Bereich der
strafprozessualen Eingriffsmaßnahmen auch unter Berücksichtigung nicht
auszuschließender Einwirkungen auf das Kommunikationsverhalten der
Bürger durch den Senat nicht festgestellt werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat schon in früheren Entscheidungen die
unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung
hervorgehoben, das öffentliche Interesse an einer möglichst
vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont und die
wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen
Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet. Blieben die
hier angegriffenen Regelungen des § 100a Abs. 2 und Abs. 4 StPO n.F.,
die den Katalog der Anlasstaten und den Schutz des Kernbereichs
privater Lebensgestaltung bei der Überwachung der Telekommunikation
betreffen, in Kraft und hätten die Verfassungsbeschwerden im
Hauptsacheverfahren Erfolg, würden zwar möglicherweise
Telekommunikationsvorgänge der Antragsteller und anderer
Grundrechtsträger überwacht und aufgezeichnet werden, die bei engerer
Fassung der Vorschriften nicht erfasst würden. Allerdings könnten dann
zur Aufklärung von Straftaten relevante Ermittlungsmaßnahmen nicht
durchgeführt werden, wenn der Vollzug der angegriffenen Regelung des §
100a Abs. 2 StPO n.F. vorläufig ausgesetzt und der Vollzug des § 100a
Abs. 4 StPO n.F. lediglich noch mit der Maßgabe gestattet würde, dass
die Maßnahme nur angeordnet werden darf, soweit auf Grund
tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass durch die Überwachung
keinerlei Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung
erfasst werden. Damit entfiele die Möglichkeit, bestimmte Daten und
Informationen zur Aufklärung von Straftaten zu nutzen. Dies beträfe
auch Straftaten, die der Gesetzgeber durch die Aufnahme in den Katalog
des § 100a Abs. 2 StPO als so schwer eingestuft hat, dass sie nach
seiner Einschätzung eine Überwachung der Telekommunikation
rechtfertigen (vgl. Beschluss des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 2008 – 1 BvR 256/08 -, EuGRZ
2008, S. 257 <263>).

Dasselbe gilt für die Regelung über den Schutz
zeugnisverweigerungsberechtigter Berufsgeheimnisträger (§ 160a StPO).
Auch hier ergibt die im Verfahren der einstweiligen Anordnung
erforderliche Abwägung, dass das öffentliche Interesse an einer
wirksamen Strafverfolgung gegenüber dem Einzelinteresse überwiegt.
Bliebe diese Norm in Kraft und hätte die Verfassungsbeschwerde im
Hauptsacheverfahren Erfolg, würden möglicherweise Ermittlungsmaßnahmen
gegen Zeugnisverweigerungsberechtigte nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
bis 3b oder Nr. 5 StPO nach Verhältnismäßigkeitserwägungen angeordnet
oder gewonnene Erkenntnisse aus einer Ermittlungsmaßnahme gegen eine
andere Person, über die eine der in § 160a Abs. 2 StPO n.F. genannten
Personen das Zeugnis verweigern dürfte, zu Beweiszwecken nach einer
Verhältnismäßigkeitsprüfung verwertet werden. Damit wären die
praktischen Wirkungen und damit auch die Funktion der in § 53 Abs. 1
Satz 1 Nrn. 3 bis 3b, Nr. 5 StPO niedergelegten
Zeugnisverweigerungsrechte beschränkt. In die Abwägung wären insoweit
das öffentliche Interesse an den von den Berufsgeheimnisträgern
wahrgenommenen Aufgaben und das individuelle Interesse an der
Geheimhaltung von anvertrauten Tatsachen einzustellen. Würde hingegen
im Wege der einstweiligen Anordnung die angegriffene Vorschrift nur
mit der Maßgabe für anwendbar erklärt, dass für sämtliche in § 53 StPO
genannten Zeugnisverweigerungsberechtigte ein absolutes
Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot bestünde, könnte dies dazu
führen, dass zahlreiche Ermittlungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden
dürften. Dies könnte zur Folge haben, dass die Aufklärung gewichtiger
Straftaten nicht möglich wäre, weil einzelne Ermittlungsmaßnahmen von
vornherein nicht ergriffen oder erlangte Erkenntnisse nicht verwertet
werden dürften.

Quelle: www.bundesverfassungsgericht.de

Fachanwältin für Familienrecht Christine Andrae

Über die Autorin

Rechtsanwältin Christine Andrae ist Fachanwältin für Familienrecht in Köln. Auf dieser Seite veröffentlich sie Beiträge zu familienrechtlichen Themen wie Unterhalt, Sorgerecht, Scheidung oder Umgangsrecht.

Mehr über Rechtsanwältin Christine Andrae

« Alle Artikel