Aktuell

Verfassungsbeschwerde wegen Bußgeld für Verstoß gegen die Schulpflicht nicht zur Entscheidung angenommen

Die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichtes teilte am 06.08.2009 mit: Die Beschwerdeführer, Mitglieder einer baptistischen Glaubensgemeinschaft, sind Eltern zweier Kinder, die eine Grundschule in Ostwestfalen besuchen.

An dieser Schule fanden im Februar 2007 ein Theaterprojekt, das die Kinder für das Thema „sexueller Missbrauch“ durch Fremde oder auch Familienangehörige sensibilisieren sollte und eine Karnevalsveranstaltung statt. Die Teilnahme an der
Karnevalsveranstaltung war insoweit frei als den Kindern stattdessen in
der gesamten Unterrichtszeit angeboten wurde, den Schwimmunterricht zu
besuchen oder eine in der Turnhalle aufgebaute Bewegungslandschaft zu
nutzen. Die Kinder der Beschwerdeführer kamen an den dafür vorgesehen
Tagen nicht in die Schule. Eine Befreiung für den Schulunterricht lag
nicht vor. Das Amtsgericht setzte deshalb wegen eines zweifachen
vorsätzlichen Verstoßes gegen die in § 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW
statuierte Elternverantwortung für die Einhaltung der Schulpflicht
jeweils eine Gesamtgeldbuße von 80 Euro gegen die Beschwerdeführer fest.
Die Rechtsmittel dagegen waren erfolglos.

Dagegen haben die Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben, da sie
sich in ihrer Religionsfreiheit und ihrem Erziehungsrecht verletzt
sehen. Sie sind der Ansicht, eine Pflicht zur Teilnahme an einer
Karnevalsveranstaltung verletze die religiöse Neutralität der Schule, da
Fastnacht ein Fest der katholischen Kirche sei. Es werde heute so
gefeiert, dass Katholiken sich vor der Fastenzeit Ess- und Trinkgelagen
hingäben, sich maskierten und meist völlig enthemmt – befreit von
jeglicher Moral – wie Narren benähmen. Das Theaterprojekt erziehe die
Kinder zu einer „freien Sexualität“. Ihnen werde vermittelt, dass sie
über ihre Sexualität allein zu bestimmen hätten und ihr einziger
Ratgeber dabei, der sie niemals täusche, ihr Gefühl sei. Die 3. Kammer
des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die
Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht
hinreichend dargelegt haben.

Das Grundrecht auf Glaubensfreiheit unterliegt selbst keinem
Gesetzesvorbehalt, ist aber Einschränkungen zugänglich, die sich aus der
Verfassung selbst ergeben. Hierzu gehört der dem Staat in Art. 7 Abs. 1
GG erteilte Erziehungsauftrag. Infolge dessen erfährt das elterliche
Erziehungsrecht durch die allgemeine Schulpflicht eine Beschränkung. Im
Einzelfall sind Konflikte zwischen dem Erziehungsrecht der Eltern und
dem Erziehungsauftrag des Staates im Wege einer Abwägung nach den
Grundsätzen der praktischen Konkordanz zu lösen. Zwar darf der Staat
auch unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele verfolgen, dabei
muss er aber Neutralität und Toleranz gegenüber den erzieherischen
Vorstellungen der Eltern aufbringen. Diese Verpflichtung stellt bei
strikter Beachtung sicher, dass unzumutbare Glaubens- und
Gewissenskonflikte nicht entstehen und eine Indoktrination der Schüler
etwa auf dem Gebiet der Sexualerziehung unterbleibt.

Hinsichtlich der Präventionsveranstaltung hat das Amtsgericht in
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise darauf abgestellt,
dass die Schule mit der Sensibilisierung der Kinder für etwaigen
sexuellen Missbrauch und dem Aufzeigen von Möglichkeiten, sich dem zu
entziehen, das ihr obliegende Neutralitätsgebot nicht verletzt hat. Die
auf der Glaubensüberzeugung der Beschwerdeführer beruhenden elterlichen
Vorstellungen von der Sexualerziehung ihrer Kinder sind durch die
Präventionsveranstaltung nicht in Frage gestellt worden, weil diese die
Kinder nicht dahin beeinflusst hat, ein bestimmtes Sexualverhalten zu
befürworten oder abzulehnen. Die Bewertung des Amtsgerichts, dass ein
Verstoß gegen das Neutralitätsgebot durch die Karnevalsveranstaltung
nicht vorliegt, begegnet keinen Bedenken, da diese nicht mit religiösen
Handlungen verbunden gewesen ist und die Kinder weder gezwungen waren,
sich zu verkleiden noch aktiv mitzufeiern. Karneval oder Fastnacht ist
kein katholisches Kirchenfest und heutzutage als bloßes Brauchtum der
früher etwa vorhandenen religiösen Bezüge weitgehend entkleidet. Die
Auffassung des Amtsgerichts, die Grundrechte der Beschwerdeführer aus
Art. 4 und 6 GG geböten nicht, ihren Kindern eine Konfrontation mit dem
Faschingstreiben der übrigen Schüler zu ersparen, ist ebenfalls nicht zu
beanstanden. Denn die mit dem Schulbesuch verbundenen Spannungen
zwischen der religiösen Überzeugung einer Minderheit und einer damit in
Widerspruch stehenden Tradition einer anders geprägten Mehrheit sind
grundsätzlich zumutbar. Dies gilt umso mehr, als vorliegend die Schule
einen schonenden Ausgleich zwischen den Rechten der Eltern und dem
staatlichen Erziehungsauftrag auch dadurch gesucht hat, dass sie mit
einem Schwimmunterricht und der Bewegungslandschaft in der Turnhalle
zwei alternative Angebote zur Verfügung gestellt hat.

Quelle: www.bundesverfassungsgericht.de

Fachanwältin für Familienrecht Christine Andrae

Über die Autorin

Rechtsanwältin Christine Andrae ist Fachanwältin für Familienrecht in Köln. Auf dieser Seite veröffentlich sie Beiträge zu familienrechtlichen Themen wie Unterhalt, Sorgerecht, Scheidung oder Umgangsrecht.

Mehr über Rechtsanwältin Christine Andrae

« Alle Artikel