Das Bundesministerium für Justiz teilte am 24.04.2008 mit:
Der Deutsche Bundestag hat heute das „Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls“ beschlossen. Damit sollen Familiengerichte künftig zum Schutz vernachlässigter oder misshandelter Kinder frühzeitiger eingreifen können.
„In den vergangenen Monaten haben wir vermehrt von Fällen erfahren, in denen Kinder von ihren eigenen Eltern vernachlässigt und misshandelt wurden und dadurch gewaltsam zu Tode gekommen sind. Diese tragischen Fälle haben erhebliche Defizite beim Schutz besonders gefährdeter Kinder aufgezeigt. Das verbessern wir mit dem heute verabschiedeten Gesetz“, erklärte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.
Die Gesetzesänderungen beruhen auf den Vorschlägen einer Expertengruppe, der insbesondere Praktiker aus den Familiengerichten und der Kinder- und Jugendhilfe angehörten. Aus dem Abschlussbericht dieser Experten ergibt sich, dass Familiengerichte bei Kindeswohlgefährdungen häufig viel zu spät angerufen werden – so spät, dass die Gerichte den Eltern nicht selten nur noch die Sorge entziehen können. Wird das Familiengericht dagegen frühzeitig angerufen, kann den Familien durch andere Maßnahmen geholfen werden, damit Kinder nicht von ihren Eltern getrennt werden müssen.
„Effektiver Kindesschutz muss früh ansetzen. Ziel des neuen Gesetzes ist es deshalb, dass die Familiengerichte rechtzeitig eingreifen und nicht erst, wenn das Kind sprichwörtlich bereits ’in den Brunnen gefallen ist’,“ betonte Zypries. Das heute verabschiedete Gesetz erlaubt es den Familiengerichten, frühzeitiger und stärker auf die Eltern einzuwirken, damit diese öffentliche Hilfen in Anspruch nehmen, die zur Stärkung ihrer Elternkompetenz erforderlich sind.
Das neue Gesetz enthält insbesondere folgende Änderungen:
Beispiel:
Fällt ein Kind durch erhebliche Verhaltensprobleme auf, deren Ursachen nicht eindeutig zu klären sind, und haben die Eltern keinen erzieherischen Einfluss mehr auf ihr Kind, so kann das Merkmal des „elterlichen Erziehungsversagens“ und der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem Erziehungsversagen und der Kindeswohlgefährdung schwer festzustellen und darzulegen sein. Hier schafft die vorgeschlagene gesetzliche Änderung eine sinnvolle Erleichterung. Aufgrund der gesetzlichen Änderung ist für den familiengerichtlichen Eingriff allein entscheidend, dass eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, die die Eltern nicht abwenden können oder wollen.
Beispiel:
Machen die Eltern vor Gericht die Zusage, mit dem Jugendamt zu kooperieren und hält das Gericht diese Zusage für glaubhaft, kann das Gericht nach noch geltender Rechtslage das Verfahren beenden. Verweigern die Eltern jedoch entgegen ihrer Zusage die Kooperation mit dem Jugendamt, erfährt dies das Familiengericht nicht ohne weiteres. Durch die Einführung der gerichtlichen Überprüfungspflicht wird im Interesse des Kindes gewährleistet, dass sich das Gericht noch einmal mit dem Fall befasst.
Besserer Schutz auch im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens
Bundesjustizministerin Zypries setzt sich über das heute verabschiedete Gesetz hinaus dafür ein, Kinder schon im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens besser zu schützen. Auf diese Weise sollen Kindeswohlgefährdungen möglichst frühzeitig erkannt werden.
„Der Schutzauftrag des Jugendamts bei einer Kindeswohlgefährdung sollte an einzelnen Stellen konkretisiert werden. Außerdem unterstütze ich das von einigen Ländern bereits eingeführte verbindliche Einladungswesen für Früherkennungsuntersuchungen“, erklärte Zypries.
Der mit dem Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz von 2005 gesetzlich verankerte Schutzauftrag des Jugendamts bei Kindeswohlgefährdung (§ 8a Achtes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VIII) hat die Aufgaben der Jugendämter konkretisiert. Allerdings weisen die tragischen Einzelfälle von Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung darauf hin, dass bei der Anwendung dieser Regelung noch Unsicherheiten bestehen.
„Es muss klar sein, dass das Jugendamt bei Verdacht auf Gefährdung des Kindeswohls auch die Pflicht hat, einen Hausbesuch durchzuführen“, so Zypries. „Wenn gewichtige Anzeichen für die Gefährdung eines Kindes vorliegen, darf sich das Jugendamt nicht von den Eltern abwimmeln lassen. Die tragischen Fälle, über die in der letzten Zeit berichtet wurde, zeigen, dass sich das Jugendamt das gefährdete Kind persönlich anschauen und sich einen unmittelbaren Eindruck von der persönlichen Umgebung des Kindes verschaffen muss.“
Darüber hinaus sollte das Jugendamt prüfen, ob eine Gefährdung des Kindes vorliegt, wenn Eltern trotz Aufforderung nicht an einer Früherkennungsuntersuchung für ihr Kind teilnehmen. Diese Untersuchungen – auch bekannt als U1 bis U9 – sind ein seit 1971 erfolgreich eingesetztes Instrument zur Früherkennung von Krankheiten, die die körperliche oder geistige Entwicklung des Kindes gefährden. Sie können außerdem helfen, schwere Formen der Kindesvernachlässigung oder Kindesmisshandlung aufzudecken. Die ganz überwiegende Mehrheit der Eltern kümmert sich verantwortungsvoll und gut um ihre Kinder. Nehmen Eltern nicht an einer Früherkennungsuntersuchung teil, kann dies viele verschiedene Gründe haben. Daraus allein ergibt sich noch kein konkreter Hinweis auf eine Gefährdung des Kindeswohls. Kommen jedoch weitere Umstände hinzu, die für eine Vernachlässigung oder Misshandlung des Kindes sprechen, muss das Jugendamt dies überprüfen. Das kann etwa der Fall sein, wenn die Familie dem Jugendamt bereits als Risikofamilie bekannt ist.
Das Bundesministerium der Justiz hat diese Ziele gemeinsam mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in einem Regelungsvorschlag umgesetzt.
Rechtsanwältin Christine Andrae ist Fachanwältin für Familienrecht in Köln. Auf dieser Seite veröffentlich sie Beiträge zu familienrechtlichen Themen wie Unterhalt, Sorgerecht, Scheidung oder Umgangsrecht.
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