Aktuell

Ausschluss des Vaters eines nichtehelichen Kindes von der elterlichen Sorge bei Zustimmungsverweigerung der Mutter verfassungswidrig

Die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts teilte am 03.08.2010 mit:
Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechts am
1. Juli 1998 wurde nicht miteinander verheirateten Eltern erstmals
unabhängig davon, ob sie zusammenleben, durch § 1626a BGB die
Möglichkeit eröffnet, die elterliche Sorge für ihr Kind gemeinsam zu
tragen. Voraussetzung hierfür ist, dass dies ihrem Willen entspricht und
beide Elternteile entsprechende Sorgeerklärungen abgeben (§ 1626a Abs. 1
Nr. 1 BGB); anderenfalls bleibt die Mutter alleinige
Sorgerechtsinhaberin für das nichteheliche Kind. Auch eine Übertragung
der alleinigen elterlichen Sorge von der Mutter auf den Vater kann nach
§ 1672 Abs. 1 BGB bei dauerhaftem Getrenntleben der Eltern nur mit
Zustimmung der Mutter erfolgen. Gegen ihren Willen kann der Vater eines
nichtehelichen Kindes nur dann das Sorgerecht erhalten, wenn der Mutter
wegen Gefährdung des Kindeswohls die elterliche Sorge entzogen wird,
ihre elterliche Sorge dauerhaft ruht oder wenn sie stirbt.

Bereits im Jahr 2003 wies das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass
§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB sich dann als unvereinbar mit dem Elternrecht
des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG erweisen würde, wenn sich herausstellen
sollte, dass es – entgegen der Annahme des Gesetzgebers – in größerer
Anzahl aus Gründen, die nicht vom Kindeswohl getragen sind, nicht zur
gemeinsamen Sorgetragung von Eltern nichtehelicher Kinder kommt (BVerfGE
107, 150 ff.). Dem Gesetzgeber wurde ein entsprechender Prüfungsauftrag
erteilt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erklärte
in seinem Urteil vom 3. Dezember 2009, dass der grundsätzliche
Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung der ursprünglichen Zuweisung
der Alleinsorge an die Mutter im Hinblick auf den verfolgten Zweck,
nämlich den Schutz des Wohls eines nichtehelichen Kindes, nicht
verhältnismäßig sei (vgl. EGMR, Nr. 22028/04).

Der Beschwerdeführer ist Vater eines 1998 nichtehelich geborenen Sohnes.
Die Eltern trennten sich noch während der Schwangerschaft der Mutter.
Der gemeinsame Sohn lebt seit seiner Geburt im Haushalt der Mutter, hat
aber regelmäßig Umgang mit seinem Vater. Der Beschwerdeführer erkannte
die Vaterschaft an. Eine Erklärung zur Ausübung der gemeinsamen
elterlichen Sorge wurde von der Mutter verweigert. Als diese einen Umzug
mit dem Kind beabsichtigte, beantragte der Beschwer-deführer beim
Familiengericht die teilweise Entziehung des Sorgerechts der Mutter und
die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn selbst;
hilfsweise stellte er den Antrag, ihm das alleinige Sorgerecht zu
übertragen oder die Zustimmung der Mutter zu einer gemeinsamen Sorge zu
ersetzen. Das Familiengericht wies die Anträge in Anwendung der
geltenden Rechtslage mit der Begründung zurück, dass es zur Übertragung
des Sorgerechts oder Teilen davon an der erforderlichen Zustimmung der
Mutter fehle. Gründe für eine Entziehung des Sorgerechts der Mutter
lägen nicht vor. Die hiergegen beim Oberlandesgericht eingelegte
Beschwerde blieb ohne Erfolg.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat auf die
Verfassungsbeschwerde nun entschieden, dass die §§ 1626a Abs. 1 Nr. 1
und 1672 Abs. 1 BGB mit Art. 6 Abs. 2 GG unvereinbar sind. Der Beschluss
des Familiengerichts ist aufgehoben und zur erneuten Entscheidung
zurückverwiesen worden. Bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen
Neuregelung hat das Bundesverfassungsgericht in Ergänzung der §§ 1626a
Abs. 1 Nr. 1, 1672 Abs. 1 BGB vorläufig angeordnet, dass das
Familiengericht den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche
Sorge oder einen Teil davon gemeinsam überträgt, soweit zu erwarten ist,
dass dies dem Kindeswohl entspricht; dem Vater ist auf Antrag eines
Elternteils die elterliche Sorge oder ein Teil davon allein zu
übertragen, soweit eine gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht
kommt und zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am besten
entspricht.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber
das elterliche Sorgerecht für ein nichteheliches Kind zunächst allein
seiner Mutter übertragen hat. Ebenfalls steht mit der Verfassung in
Einklang, dass dem Vater eines nichtehelichen Kindes nicht zugleich mit
der wirksamen Anerkennung seiner Vaterschaft gemeinsam mit der Mutter
das Sorgerecht eingeräumt ist. Eine solche Regelung wäre allerdings mit
der Verfassung vereinbar, sofern sie mit der Möglichkeit verbunden wird,
gerichtlich überprüfen zu lassen, ob die gesetzlich begründete
gemeinsame Sorge der Eltern dem Kindeswohl im Einzelfall tatsächlich
entspricht.

Der Gesetzgeber greift jedoch dadurch unverhältnismäßig in das
Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes ein, dass er ihn
generell von der Sorgetragung für sein Kind ausschließt, wenn die Mutter
des Kindes ihre Zustimmung zur gemeinsamen Sorge mit dem Vater oder zu
dessen Alleinsorge für das Kind verweigert, ohne dass ihm die
Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung am Maßstab des Kindeswohls
eingeräumt ist.

Die Regelung des § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB, der die Teilhabe an der
gemeinsamen Sorge von der Zustimmung der Mutter abhängig macht, stellt
ohne die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung einen
tiefgreifenden Eingriff in das Elternrecht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2
GG dar. Der Gesetzgeber setzt das Elternrecht des Vaters in
unverhältnismäßiger Weise generell hinter das der Mutter zurück, ohne
dass dies durch die Wahrung des Kindeswohls geboten ist.

Denn die dem geltenden Recht zugrunde liegende Annahme des Gesetzgebers
hat sich nicht als zutreffend erwiesen. Neuere empirische Erkenntnisse
bestätigen nicht, dass Eltern die Möglichkeit gemeinsamer Sorgetragung
in der Regel nutzen und die Zustimmungsverweigerung von Müttern in aller
Regel auf einem sich nachteilig auf das Kind auswirkenden elterlichen
Konflikt basiert sowie von Gründen getragen ist, die nicht
Eigeninteressen der Mutter verfolgen, sondern der Wahrung des
Kindeswohls dienen. Vielmehr verständigen sich lediglich knapp über die
Hälfte der Eltern nichtehelicher Kinder darauf, Erklärungen zur Ausübung
der gemeinsamen elterlichen Sorge abzugeben. Zum anderen ist nach
durchgeführten Befragungen von Institutionen und Experten davon
auszugehen, dass in nicht unbeträchtlicher Zahl Mütter allein deshalb
die Zustimmung zur gemeinsamen Sorge verweigern, weil sie ihr
angestammtes Sorgerecht nicht mit dem Vater ihres Kindes teilen wollen.

Auch die Regelung in § 1672 Abs. 1 BGB, der die Übertragung der
Alleinsorge für ein nichteheliches Kind von der Zustimmung der Mutter
abhängig macht, stellt einen schwerwiegenden und nicht gerechtfertigten
Eingriff in das Elternrecht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG dar.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Eröffnung einer
gerichtlichen Übertragung der Alleinsorge auf den Vater andererseits
schwerwiegend in das Elternrecht der Mutter eingreift, wenn dem
väterlichen Antrag im Einzelfall stattgegeben wird. Denn der Mutter wird
die bisher von ihr ausgeübte Sorge gänzlich entzogen, und zwar nicht,
weil sie bei ihrer Erziehungsaufgabe versagt hat und dadurch das
Kindeswohl gefährdet ist, sondern weil in Konkurrenz zu ihr der Vater
sein Recht reklamiert, an ihrer Stelle für das Kind zu sorgen. Zudem ist
mit einem Sorgerechtswechsel regelmäßig auch ein Wechsel des Kindes vom
Haushalt der Mutter in den des Vaters verbunden, wodurch insbesondere
das Bedürfnis des Kindes nach Stabilität und Kontinuität berührt wird.
Unter Berücksichtigung dessen und in Abwägung der grundrechtlich
geschützten Interessen beider Eltern ist es zwar mit Art. 6 Abs. 2 GG
nicht vereinbar, dem Vater mangels Möglichkeit einer gerichtlichen
Einzelfallprüfung den Zugang auch zur alleinigen Sorge zu verwehren.
Eine Übertragung der Alleinsorge von der Mutter auf den Vater des
nichtehelichen Kindes ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn es zur Wahrung
des väterlichen Elternrechts keine andere Möglichkeit gibt, die weniger
in das mütterliche Elternrecht eingreift, und wenn gewichtige
Kindeswohlgründe vorliegen, die den Sorgerechtsentzug nahelegen. Deshalb
ist zunächst zu prüfen, ob eine gemeinsame Sorgetragung beider Eltern
als weniger einschneidende Regelung in Betracht kommt. Sofern dies der
Fall ist, hat eine Übertragung der Alleinsorge zu unterbleiben.
Ansonsten ist dem Vater die Alleinsorge zu übertragen, wenn zu erwarten
ist, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht.

Quelle: www.bundesverfassungsgericht.de

Fachanwältin für Familienrecht Christine Andrae

Über die Autorin

Rechtsanwältin Christine Andrae ist Fachanwältin für Familienrecht in Köln. Auf dieser Seite veröffentlich sie Beiträge zu familienrechtlichen Themen wie Unterhalt, Sorgerecht, Scheidung oder Umgangsrecht.

Mehr über Rechtsanwältin Christine Andrae

« Alle Artikel